isl.antville - Fischin auf Reisen (diesmal: Irland)
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Dienstag, 29. August 2006
Sonntag, 28.05.2006

Wellen, Robben, Warteschlangen

Strecke: Seahouses, England > Ardlui, Schottland
Übernachtung: Beinglas Farm, bei Ardlui

Wir erwachen gegen 9:00 Uhr bei strahlendem Sonnenschein aber immer noch ziemlich heftigem Wind. Zu unser Überraschung haben die Zelte unserer britischen Campingplatznachbarn den starken Windböen über Nacht standgehalten. Als wir unsere schweren Beine aus dem Bus heben, wuseln sie schon geschäftig auf dem Campingplatz umher, nehmen ihr Frühstück zu sich oder beobachten den einzigen Bus unter all den vielen bunten Zelten – also uns.

Als wir die Sanitäranlagen des Campingplatzes betreten, finden wir ein weiteres Klischee über die britischen Inselbewohner bestätigt: das queuing (Schlange stehen). Wer dieses Phänomen nicht kennt und noch nie erlebt hat, dem soll es nachfolgend kurz erläutert sein:

Touristen ruinieren Londons "Schlangen"-Tradition

Schlange-Stehen will gekonnt sein

London (rpo). Jeder deutsche Schüler hat es im Englischunterricht gelernt und doch nie glauben können. Bis er es dann auf Klassenfahrt mit eigenen Augen sah: Engländer bilden an der Bushaltestelle und auch sonst bei jeder sich bietenden Gelegenheit eine geordnete Schlange. Es ist kein Mythos, sondern Realität.
Jetzt haben Forscher erstmals untersucht, wie das Inselvolk diese vom Rest der Welt so bestaunte zivilisatorische Leistung erbringt. Wenn man den Anthropologen Prof. Joseph Heinrich und Prof. Robert Boyd glauben darf, dann macht das Schlangestehen den Engländer zur Krone der Schöpfung. Diese Art der «freiwilligen Interaktion mit gänzlich Fremden» sei die «höchste Form kooperativen Gruppenverhaltens» und in diesem Sinne Gipfelpunkt der menschlichen Evolution schlechthin.

Richtiges Schlangestehen will demnach gekonnt sein. Der Abstand zum Vordermann muss sehr genau eingeschätzt werden. Rückt man zu dicht auf, fühlt sich dieser in seiner Intimsphäre gestört und schaut sich um - ein schwerer Fauxpas. Lässt man aber zu viel Platz, wird der als nächstes Dazukommende unweigerlich fragen: «Are you in the queue?» (Stehen Sie in der Schlange?). Das hört sich zwar höflich an, heißt aber nichts anderes als: «Wissen Sie Trottel noch nicht mal, wie man sich anstellt?» Als Faustregel für den richtigen Abstand empfahl der «Guardian» einmal, man solle so viel Platz lassen «wie beim Tanzen mit Großtante Hildegard».

In der Schlange spricht man nicht

England-spezifisch ist die «Ein-Mann-Schlange». Ein Engländer, der zu einer Bushaltestelle kommt, an der noch keiner steht, wartet dort nicht einfach irgendwie, sondern nimmt die so genannte Schlangenkopf- Position ein. Kommt als nächstes ein Tourist dazu, der sich nicht auskennt und sich deshalb nicht hinter ihn stellt, wird er mit den Worten belehrt: «This is a queue.» (Dies ist eine Schlange.) Weil es in London so viele Touristen gibt, die sich aus Unkenntnis vordrängeln, sind die hauptstädtischen Schlangen im Rest des Landes bereits in Verruf geraten.

Dass Schlangestehen eine ernste und komplizierte Angelegenheit ist, zeigt sich auch daran, dass noch nie ein Liebespaar behauptet hat, sich in der Schlange kennen gelernt zu haben. In der Schlange spricht man nicht. Eine im April veröffentlichte Umfrage unter 1200 Schlangestehern in London ergab, dass Männer beim Warten vor allem den Frauen nachschauen, Zeitung lesen oder über Fußball nachsinnen. Die Frauen machen sich Gedanken über Kochen und Einkaufen oder träumen vom Urlaub. (...)

(Quelle: Rheinische Post)

Eine britische Wartschlange vorbildlichster Natur zeigt sich mir heute in den Sanitäranlagen des Campingplatzes in Seahouses. Vor den 3 Damenduschen stehen wie aufgefädelt insgesamt 6 müde aussehende, mit Handtüchern und Waschtaschen bewaffnete Frauen und warten geduldig, bis sie endlich an der Reihe sind. Da ich kein Fan des Schlangestehens bin, begnüge ich mich erstmal mit einer kurzen Katzenwäsche und beschließe, etwas später nochmal mein Glück zu versuchen.

Wir frühstücken also erstmal gemütlich auf einer Decke vor dem Bus...

Frühstück auf dem Campingplatz in Seahouses

...und als ich ½ Stunde später wieder ins Sanihäuschen komme sind zwar alle Duschkabinen immer noch besetzt, aber wenigstens hat sich die Warteschlange inzwischen aufgelöst. Bald öffnet sich eine Kabine – endlich – ich bin dran! Die heraustretende Frau schaut mich allerdings nur mitleidig an und meint: „Sorry, it’s a bit cold!“

Nachdem ich auf diese Weise meine erste – eiskalte – Dusche englischer Natur hinter mich gebracht habe, verabschieden wir uns vom Campingwart, der uns für heute abend noch schlechtere Chancen bei der Campingplatzsuche voraussagt und brechen auf in Richtung Seahouses. Von dort aus startet um 10:30 Uhr eine Bootstour zu den dem Festland vorgelagerten Farne Islands, auf denen zahlreiche Vögel- und Robbenkolonien zu Hause sind. Wir wollen natürlich mitfahren.

An der Bootsanlagestelle bietet sich uns wieder ein Paradebeispiel des „queuings“. Da wir 10:25 Uhr als letzte Passagiere eingecheckt haben müssen wir uns natürlich ganz hinten anstellen, was uns allerdings bei der „Verladung“ der Passagiere zum Vorteil wird. Wir bekommen nämlich die Plätze mit der besten Sicht neben der Treppe – auf denen stand vorher der Käpt’n zum Einholen der Seile!

Wie sich später herausstellt, sind dies nicht nur die besten, sondern auch die trockensten Plätze denn kaum daß wir die sichere Hafenbucht verlassen haben, schwappt auch schon die erste Gischtwelle ins Boot und 99% der Passagiere (also alle außer uns!) sind klatschnaß. Nun werden wir Zeuge des legendären britischen Humors. Das Schiff wogt auf den Wellen wie eine Nußschale hin und her und es dauert nicht lange bis der Fußboden komplett unter Wasser steht. Den britischen Passagieren (= alle außer uns) ists egal, die freuen sich über ihre nassen Hosen und was die Körperteile oberhab ihrer Gürtellinie betrifft, da stülpen sie sich einfach ihre mitgebrachten Plastetüten über!

Auf großer Bootsrundfahrt

Es dauert nicht lange, bis wir die ersten umherfliegenden Papageientaucher entdecken und bald taucht auch die erste Seehundkolonie in der Ferne auf, deren Mitglieder sich faul und träge auf den Felsen lümmeln und die Sonne genießen.

Im weiteren Verlauf der Rundfahrt erblicken wir noch viele ihrer Artgenossen.

Außerdem bieten sich uns spektakuläre Ausblicke auf die Küstenlandschaften und voll besetzten Vogelfelsen der Farne Islands.

Die Beobachtung der niedlichen Robben, Papageientaucher und anderen Meeresvögel fesselt uns dermaßen, daß wir fast nicht mitbekommen, wie wir die Farne Islands umrunden und langsam schon wieder Kurs auf den Hafen von Seahouses nehmen. Und als wir es dann endlich merken ist es auch schon zu spät. Enttäuschung macht sich breit. Der versprochene und gebuchte einstündige Stop auf der Robbeninsel hat nicht stattgefunden. Tino trägt diese Tatsache noch mit Fassung, ich aber bin so enttäuscht, daß ich nach Anlegen des Schiffes um 13:00 Uhr in Seahouses einfach hartnäckig im Boot sitzen bleibe.

Auf diese Weise kommen wir in den Genuß der sogenannten „Anschlußtour“. Diese führt uns ein weiteres Mal um die Farne Islands und wir wissen nun schon was nacheinander alles kommt: Wellen, nasse Klamotten, Anflüge von Seekrankheit, erste Papageientaucher, die erste Robbenkolonie, der rot-weiße Leuchtturm

und immer wieder von unzähligen Vögeln umschwirrte Felsen.

Einzige Ausnahme: da inzwischen Flut ist, kann nun auch auf einer der Inseln, nämlich auf Inner Farne, angelegt werden. Das ist zwar immernoch nicht die versprochene Robbeninsel, aber hier gibt es wenigstens – wenn die Versprechungen der Tourenveranstalter diesmal stimmen - eine große Kolonie von Papageientauchern, die wir aus nächster Nähe beobachten können. Wir sind glücklich. Als wir auf Inner Farne von Bord gehen, werden wir sofort von einer Schar von Vögeln umringt die sich offensichtlich beim Brüten gestört fühlen und wie wild auf unsere Köpfe einhacken.

Nachdem wir diese Attacke heil überstanden haben wird es aber ruhiger und wir können ungestört an den zahlreichen Aussichtsplätzen der Insel verweilen und die Nistplätze der Papageientaucher und anderen Vogelarten bestaunen.

Viel zu schnell gehen die 60 Minuten Inselaufenthalt zuende und wir müssen zurück aufs Boot. Als wir dort ankommen sind 3 Fotofilme, 1 Digichip und alle vorhandenen Akkus unserer Foto- und Videoausrüstung verbraucht.

Um 16:30 Uhr sitzen wir schließlich wieder im Auto. Die Vogelbeobachtungsfahrt und deren Anschlußtour haben uns insgesamt 42 £ gekostet. Ein absoluter Sonderpreis, versteht sich!

Nun geht es weiter Richtung Edinburgh. Da wir die Küstenlandschaft Northumberlands gestern schon ausgiebig bewundern konnten, entscheiden wir uns heute für die Route durchs Hinterland, welche uns – laut Reiseführer – schöne Ausblicke auf die Hügellandschaft der Cheviot Hills bieten soll. Gesagt getan.

Der Wettergott ist uns heute wieder wohlgesonnen, die Sonne lacht was das Zeug hält und die Natur zeigt uns ihre schönsten Farben. Die Landschaft ist sanft und lieblich, runde Hügelrücken wechseln sich mit endlosen grünen Wiesen und prachtvoll leuchtenden Rapsfeldern ab. Die goldgelben Farbtupfer des Ginsters und die allgegenwärtigen Schafherden runden das Bild ab.

Landschaft Cheviot Hills

Landschaft Cheviot Hills

Leider findet sich nirgens ein schöner Rastplatz zum verweilen und alle Orte die halbwegs dazu dienen würden sind entweder abgesperrt, umzäunt oder von Hecken umsäumt.

Bald passieren passieren wir die schottische Grenze, und das nun schon zum zweiten Mal in 2 Urlaubstagen.

Grenze England-Schottland bei ...

Postkarte Scotland

Kurz vor Edinburgh werden die Straßen wieder breiter und wir biegen nach Westen in Richtung Glasgow ab. Auf dem Weg dorthin begegnen wir unzähligen wilden Kaninchen, die auf den Weiden zwischen Kühen und Schafen munter umherhoppeln. Die übermütigsten von ihnen mußten auf der Schnellstraße ihr Leben lassen – ein trauriges Bild. Bei Glasgow nehmen wir die Straße in Richtung Norden denn unser heutiges Ziel ist das Loch Lomond. Dort wollen wir uns einen schönen Campingplatz suchen und gepflegt übernachten. Soweit zu unseren Wünschen.

Was die Realität betrifft, die sieht natürlich wiedermal ganz anders aus. „Full“, „Only for Club Members“ oder sogar „Forbidden“ sind noch die freundlichsten Begründungen der Campingplatzwarte, uns von ihren Plätzen zu verjagen. Ein anderer Campingplatzwart informiert uns, daß morgen ein schottischer Nationalfeiertag ist und deshalb die Einheimischen ihre Campingplätze belagern.

Unterwegs treffen wir ein deutsches Touristenpärchen mit ähnlichen Erfahrungen. Zu viert stehen wir ratlos vor den Toren eines Campingplatzes direkt an den Ufern des romantischen Loch Lomond und können nicht glauben daß man uns dort einfach nicht aufnehmen will. Soweit wir unsen Augen noch trauen können, wäre für beide Busse noch genügend Platz zur Verfügung – wenigstens für eine Nacht oder was von ihr noch übrig geblieben ist. Stattdessen empfiehlt man uns, uns doch eine Parknische an der Straße für unsere Übernachtung zu suchen. Wir sind grenzenlos enttäuscht. Während unsere Leidensgefährten es sich am Straßenrand bequem machen geben wir jedoch noch nicht auf und fahren noch ein Stück weiter entlang des Sees.

Und tatsächlich – unsere Ausdauer wird belohnt. Gegen 10:30 Uhr finden wir in der Nähe des kleinen Ortes Ardlui endlich Menschen die ein Einsehen für hungrige und heimatlose Campingtouristen ohne WC im Auto haben. Es ist die Beinglas-Farm. Und hier geht dann plötzlich alles ganz easy. Wir bezahlen 10 Pounds, suchen uns einen Stellplatz, geben unsere schon wieder leeren Akkus zum laden ab und sitzen nicht viel später im Pub und trinken das erste echt schottische Guinness unseres Lebens. Tino, da er so froh ist endlich einen Stellplatz für diese Nacht gefunden zu haben, trinkt gleich noch den ersten echt schottischen Bayleys seines Lebens dazu. Neben uns sitzt ein älterer Mann im Kilt. An der Wand hängen alte Bilder und ein Dudelsack. Die Atmosphäre ist gigantisch. Wir könnten es hier noch ewig aushalten und haben schon fast vergessen, daß wir noch vor einer halben Stunde ziellos durch die Straßen geirrt sind.

Wir fragen den Barkeeper, der auch gleichzeitig der Campingplatzwart zu sein scheint, welcher Nationalfeiertag denn eigentlich die Einheimischen derartig aus ihren Wohnungen treibt.
„National bank holiday.“, antwortet er.
„Und was wird da gefeiert?“, fragen wir ihn?
Er überlegt.
„What do we celebrate on Bank holiday?“ fragt er seinen Kollegen.
Der weiß es auch nicht.
„The banks are not open.“ antwortet er uns nach einer kurzen Bedenkzeit.

Aha, nun wissen wir also Bescheid. Gegen Mitternacht fallen wir müde, glücklich und etwas angeheitert in unser Schlafgemach.

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